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REVIEW 004: Kern – Zeitlos


Kern-Zeitlos-Cover

 

Alles ist vergänglich und zerfällt irgendwann zu Staub. Wissen wir. Relativ unberührt bleiben davon nur die nicht greifbaren Traditionen und Werte, die von Generation zu Generation weitergetragen werden. Wenn nun ein Rap-Album „Zeitlos“ heißt, dann kann man als weiterdenkender Hörer davon ausgehen, dass es um mehr geht, als das Polycarbonat, aus dem die CD gepresst wurde.

Um es vorweg zu nehmen: Ich hatte so meine Schwierigkeiten die Platte zu rezensieren. Aber drehen wir die Zeit nicht zu weit vor und beginnen chronologisch am Anfang.

Das Schöne an Kerns Songs ist am Rande bemerkt, dass die Songtitel so praktisch selbsterklärend sind. schwimmt im Opener „Gegen den Strom“, tja, gegen den Strom. Hier kündigt sich inhaltlich schon eine vage Richtung des Albums an: Nachdenklich, andersdenkend und trotzdem oder gerade deswegen Community-orientiert. Musikalisch werden hier die technisch perfekten Lyrics durch einen stampfenden Rock-Beat untermalt. Ich behaupte jetzt mal frech, dass die Gitarren und Drums aus dem Sampler kommen und nicht „echt“ sind. Der Song ist deshalb nicht schlecht, allerdings für eine Rocknummer dann wieder zu wischi-waschi. Auch ist Kerns Stimme für dieses Genre eine Ecke zu smooth.

“Hartz IV durch Manager und fette Aktionäre, nach der Amtszeit sind Politiker auf einmal Millionäre”

Weiter geht’s mit “Einer uns”. Der Song ist durch die schmalzige Gesangs-Hook und das 80s-Synthie-Geklimper irgendwie anstrengend. singt die Hook für sich genommen gut, aber mir persönlich ist es zu pathetisch gejault. Da reißen auch die soliden Parts von und Cin nicht mehr viel rum. Man muss diese Richtung einfach mögen. Ich mag sie nicht.

„Meine Leute“ stellt mich vor ein arges Problem: Die Message kommt an und Kern flowt einmal mehr makellos über den Beat. Wo wir beim Thema wären, dem Beat. Dieser ist so dermaßen fröhlich, dass ich geneigt bin meinen Kopf seitwärts statt vorwärts nicken zu  lassen. Unterm Strich wieder kein schlechter Song, allerdings sehr poplastig, was im starken Kontrast zur Kern’schen Deepness steht.

“Und lasst euch nicht sagen es gibt keinen Ausweg – es kommt immer nur drauf an wie man es auslegt”

“Wo sind deine Träume hin” gleitet kurz ins Fahrwasser von “Einer von uns”, taucht aber zum Glück nicht wirklich unter. Auch hier ein recht poppiger Beat plus Gesang, nur nicht ganz so pathetisch und das wiederum ist der Pluspunkt des Tracks. Und auch hier überzeugt Kern durch seine Stimme, seinen Flow und selbstverständlich seine Inhalte.

Ich glaube ich habe ein Déjà vu, denn „La vida loca“ stellt mich erneut vor ein arges Problem: Die Message kommt an und Kern flowt einmal mehr makellos über den Beat. Wo wir beim Thema wären, dem Beat. Dieser ist so dermaßen fröhlich, dass ich geneigt bin meinen Kopf seitwärts statt vorwärts nicken zu lassen. Unterm Strich wieder kein schlechter Song, allerdings sehr poplastig, was im starken Kontrast zur Kern’schen Deepness steht.

Sarkasmusknopf aus. Aber spätestens jetzt merke ich, dass ich kein Freund von -Beats bin und da er „Zeitlos“ bis auf den letzten Song komplett produziert hat, sind meine Erwartungen gedämpft bzw. die Abzüge in der B-Note suchen sich im Hinterkopf ein gemütliches Plätzchen. Es sei denn, da kommt zügig die große Überraschung. Aber wir haben ja Zeit.

Die Überraschung kommt schneller als erwartet. Und zwar in Form von „Eine Liebe“. Auf einer zum Ende hin orchestralen Piano-Melodie rappt Kern über das Sein des „kleinen“ MCs. Großartig! Ob die musikalische Parallele zu gewollt ist oder nicht – ich höre sie. Zumal sich die beiden stimmlich auch gut entgegenkommen. Interessanterweise ist die Machart von „Eine Liebe“ so etwas wie die Krone der melodischen Poppigkeit des Albums. Allerdings ist es ironischerweise auch genau das, was mir an dem Stück gefällt.

“Ich bin jetzt schon 30, nichts als das mach ich lieber – mein Ziel ist erreicht, wenn Leute mich fragen ob ich sie feature”

Von der Melancholie weg bewegen wir uns zum Club hin. „Wer weiss“ ist jene Art Throw-your-hands-in-the-air-Club-Nummer, die man entweder hasst oder liebt. Oder man findet sie, wie ich, einfach nur ok. Der Song erfüllt auf jeden Fall seinen Zweck und wäre auf jeder Party, auf der Tanzen ausdrücklich erwünscht ist, genau richtig.  Zum Zuhause oder unterwegs anhören hingegen weniger.

„Alter, was hörst du da? –   Kern und Summsemann… Is fett!“

Die zuvor ersehnte Überraschung auf dem Album lässt nach „Eine Liebe“ nicht lange auf sich warten, denn „Damals“ erzählt im Duett mit so bildlich von der Vergangenheit und dem Wesen des Älterwerdens, dass sich bestimmt mancher Hörer schnell wiedererkennt. Ob die bekannten Treffpunkte in der eigenen Stadt, das gemeinsame Chillen auf Parkbänken, ja, das Schwelgen in vergangen Zeiten verdeutlicht die Reife des 1980 geborenen Kerns. Auch Summsemann ist ein erfahrungs- und raptechnisch nicht unbeschriebenes Blatt und reiht sich perfekt in den melancholischen Beat ein. Ein unbedingter Anspieltipp.

So, von der Parkbank der Straße geht es wieder in den Club. Waren wir da nicht schon? „Untouchable“ befasst sich mit dem mehr oder weniger erfolgreichen Anquatschen von Mädels und passt somit gut zu „Wer weiss“. Steckt einiges an Wahrheit drin. Aber der Beat lässt mich erneut etwas enttäuscht zurück, denn diesmal zu clubbig. Ganz oben erwähntes Problem erfährt eine Wiederholung.

Und da ist er. Wie aus dem Nichts. Der für mich persönlich überraschendste Überraschungs-Beat, gleichzeitige Anspieltipp und ärgerlicherweise auch der kürzeste Song des Albums. Das taufe ich an dieser Stelle mal den . “Über der Stadt” ist das absolute Highlight und ein Zeichen, dass Oduza auch weniger glattgebügelte Beats auf Lager hat.

“…und auch mal abschalten, ich red nicht von Tee trinken – sondern die Welt um sich herum mal ganz ok finden.”

Zweiter Auftritt von Kerns .  “Neue Welt” geht klar, soll vom Beat her mitreißen, aber irgendwas fehlt da noch. Inhaltlich findet der Hörer einen Representer, der alles in allem gut zum Beat passt. Ich skippe nochmal zu “Über die Stadt” zurück, aber merke, dass die Zeit rennt und auch das Review dieses Albums nicht jünger wird.

Besagtes Album macht mich übrigens langsam wahnsinnig mit seinen Höhen und Tiefen, denn “Wenn ihre Kinder fallen” fasst Kerns Darstellungen vom Krieg und seinen Opfern auf einem perfekten Beat zu einem runden Gesamtbild zusammen. Sehr nachdenklich, sehr ehrlich und sehr direkt kommt Kern hier rüber. Erwähnte ich den perfekt dazu passenden Beat? Ja? Da sieht man mal, wie mich das Album hin und her schleudert. Und ganz ehrlich, der Kinderchor am Ende hat für Gänsehaut gesorgt.

“Und wie es wirklich ist bleibt zwischen vier Wänden, wir sind Sklaven von ein paar Menschen – wie wir’s drehen und wenden”

Hey, das ist doch Soul Mack von “Einer von uns”. Aber jetzt wird er seinem Namen um einiges gerechter. Ein extrem guter Gesangspart in “Hand im Glück” auf  einem sehr coolen Beat. Dazu ein – oh Wunder – sauberer Part von Kern – macht alles in allem einen überdurchschnittlich guten Track. Dinger wie die hier tragen das Album. Als ob es die Endwertung einfach machen würde, sehe ich der letzten Anspielstation erwartungsvoll entgegen. Aber ein Fazit lässt sich in diesem Review ebenso wenig aufhalten wie die Zeit.

„Anthem“ schließt das Album in würdiger Weise mit einer Massenkollabo ab. Bämm. Der Beat ist cool, die Cuts auch, die Parts zeugen von einer gemeinsamen musikalischen Vergangenheit – Ende gut, alles gut. Wirklich alles gut?

FAZIT:
Es war nicht einfach dieses Album zu rezensieren, wie einleitend angekündigt. Das Kernproblem (anscheinend kein Kern-Problem) ist: Mich erreichen die meisten Beats nicht. Der Großteil ist mir zu weichgespült, poppig und melodisch.  Im Gegensatz hierzu steht Kern mit seinem technisch perfektem Flow, einer markanten Stimme mit Wiedererkennungswert und der sprachlichen Fähigkeit, Altbekanntes in saubere Reime zu verpacken. Ein Muster-MC sozusagen. Würde man die Kern Acappellas auf die Instrumentals von den Curse Alben „“ oder auch „“ legen, dann wäre das hier die Platte des letzten Jahres.

Den Beats von Oduza fehlt mir ein gewisser „Hip Hop typischer“ Kopfnickfaktor. Die Produktionen sind sauber und glasklar gemischt, sehr melodisch und verspielt. Genau dieser vermeintliche Vorteil schlägt dann um, wenn man sich die teilweise von einer nicht glanzvollen Welt geprägten Lyrics von Kern zu Gemüte führt. „Zeitlos“ ist definitiv ein Hip Hop Album, aber nach klassischem Verständnis auch wieder nicht. „Zeitlos“ ist ein Stück leichte Popkost, die auch  Hörer anderer Musik schmecken soll, aber dann wiederum auch nicht.

Was denn nun? „Zeitlos“ ist summa summa summarum ein gutes Album und dank der Texte von Kern auch zum mehrmaligem Durchhören. Wer sich mit den Beats anfreunden kann – und ich bin sicher, dass es da einige Menschen geben wird – bekommt ein ehrliches Stück Musik mit einigen Anspieltipps. Zeitlos im Sinnes des Titels ist die Platte meines Erachtens dagegen nicht.

Bewegen wir uns von innen nach außen zum Cover hin. Hübsch ist es, das elegante Digipack. Ein mehrseitiges Booklet rundet den positiven äußeren Gesamteindruck ab, sodass der Käufer hier schnell das Gefühl hat, etwas für sein Geld bekommen zu haben. Pech in Anführungszeichen für die Kunden der Online-Version auf bzw. .  Und auch für die Polycarbonat- und Digipack-Hersteller.

 

BEWERTUNG:

Kern - Zeitlos Rating

3/5

 

 

 

 

 

Bisherige Reviews:




Kern - Zeitlos (Backcover)


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